
Wer nimmt Opa? oder Alles eine Frage der Logistik
Auch in diesem Jahr steht Weihnachten mal wieder ganz plötzlich vor der Tür – gerade noch die Kürbis-Deko weggeräumt, fällt einem ein, dass in zwei Tagen Sonntag und damit Heiligabend ist und die zügige Anschaffung eines Weihnachtsbaums daher ratsam wäre. Am Samstag vor dem Sonntag stellt man fest, dass ja nach dem Sonntag noch der erste und der zweite Feiertag stattfinden, es also bis Mittwoch keine Frischware zu kaufen gibt, was zu hektischen und komplett planlosen Hamsterkäufen in überfüllten Supermärkten führt. Natürlich braucht man auch Geschenke, und wenn der liebe Gott nicht amazon prime und den DHL-Overnight-Express-Service erfunden hätte, sähe es damit in manchem Haushalt düster aus. Und kurz vor dem Fest fällt so mancher Großfamilie ein, dass man vielleicht mal klären sollte, wer wann wo mit wem feiert – und wer in diesem Jahr dran ist, Opa zu nehmen.
Dabei gibt es doch eigentlich keinen Grund, sich so zu stressen. Die Devise lautet: Ruhig bleiben, es ist bloß Weihnachten! Das ist, wie vieles andere, lediglich eine Frage ausgefeilter Logistik. Innerfamiliäre diplomatische Konflikte lassen sich von vorherein mit einem komplizierten Kaffeerunden- und Abendessen-Besetzungsplan ausschließen, damit Tante Frieda keinesfalls auf Onkel Horst trifft; den kann sie nämlich nicht mehr ab, seit er mal etwas despektierlich über füllige ältere Frauen geredet hat. Außerdem sollte schriftlich festgelegt werden, wer in diesem Jahr die Aufsicht über Opas Alkoholkonsum hat, damit der nicht wieder ein paar Schnäpschen zu viel erwischt und dann in den Christbaum stolpert.
Geplant werden muss natürlich vor allem das Essen. Früher wurde ja einfach gegessen, was auf den Tisch kam, aber in Zeiten neumodischer Unverträglichkeiten und Präferenzen ist das auch heute eigentlich schnell geregelt: Wenn zwei Vegetarier, eine Glutenintoleranz, ein Nussallergiker und diverse Kinder, die sich vor Fisch ekeln, an einem Tisch sitzen, bleibt in der Regel nur Raclette – oder Kartoffelsalat, ohne Würstchen, versteht sich. Opa ist Kriegskind und isst daher prinzipiell alles, notfalls auch neumodischen Käsekram, und Cousine Lisa, die Frutarierin, ist mit einem leckeren Bio-Boskop auch leicht zufrieden zu stellen.
Viel schwieriger ist da der Geschenkekauf: Für die Schwiegermutter muss es was Teures sein, aber kein Parfüm, davon kriegt sie sie immer so Ausschlag. Die Kinder wollen was zum Spielen, aber da muss man aufpassen, dass man nicht in die Falle tappt: Wer einmal eine Ritterburg verschenkt hat, weiß, wie es sich anfühlt, 2 Tage lang mit den lieben Kleinen auf dem Teppich herumzurutschen und Playmobilteile zusammenzubauen. Und auch bei der Auswahl von Gesellschaftsspielen sollte man einen gewissen Selbstschutz walten lassen, wenn man sich nicht durch einen „Risiko“-Marathon die Feiertage versauen will. Für Tante Frieda haben wir beim Horror-Wichteln einen schönen Schwibbogen aus Kiefernholz ergattert, Onkel Horst kriegt die Superhits der Fischerchöre auf CD (Horrorwichteln 2015), und Opa bekommt alle Jahre wieder Socken und einen Schlafanzug, damit geht man auf Nummer sicher. Die Idee mit dem guten Cognac vor drei Jahren war dagegen nicht so ganz zu Ende gedacht – siehe Weihnachtsbaum.
Wenn man all das berücksichtigt, kann man ruhig und entspannt einem schönen, friedlichen Fest im Kreise der Familie entgegensehen – gesetzt den Fall, man hat die zwei Wochen auf Mallorca im Sommer gut genutzt und im Schatten unterm Schirm auf dem Laptop mehrere komplexe Organigramme zur Verteilung der Verwandten auf die Feiertage, zur Sitzordnung beim Weihnachtsessen und zum Ablauf des Programms am Heiligen Abend (Kaffee vor oder nach der Kirche? Bescherung vor oder nach dem Essen?) verfasst; außerdem ein paar Excel-Tabellen für Einkäufe und Geschenke sowie zu persönlichen Vorlieben und Abneigungen der jeweils Geladenen, und last but not least eine kleine PowerPoint-Präsentation zur Weihnachtsgeschichte, um die Familie erst mal so richtig auf das Fest der Liebe einzustimmen. Das vorherige Ausdrucken und Laminieren der Texte von „Oh Tannenbaum“, „Stille Nacht“ und „Alle Jahre wieder“ kann man getrost Opa überlassen, der lernt nämlich an der Volkshochschule Computer für Senioren und hat auch schon den Baum online unter mybaum24.de bestellt.
Wer so vorarbeitet, kann auch noch nach dem dritten Advent jede Frage nach dem Stand der Planungen mit einem lässigen „Läuft bei mir!“ beantworten, während andere irgendwie gestresst wirken und aus dem letzten Loch pfeifend Alibi-Geschenke beim Juwelier und verkrüppelte Last-Minute-Bäume im Baumarkt besorgen.
So sollte definitiv nichts mehr schiefgehen und alle haben unvergessliche Weihnachten – außer Opa, der früher die alkoholische Versorgungslage definitiv besser fand!
© Marion Bröhl 2017

